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An jedem 6. Juli kommen Österreichs Kunstschaffende aus den Galerien, Konzertsälen, Ateliers, Theatern, Tanzstudios, Schreibstuben, Musiklokalen, Tonstudios usw. auf Straßen und Plätze und setzen hör- und sichtbare Marken.

Am Montag, 22. Juni 2020, 11 Uhr

lädt das IODE INSTITUT OHNE DIREKTE EIGENSCHAFTEN

zur Pressekonferenz, bei der sich auch Teilnehmende mit ihren Vorhaben zu Wort melden sollen

Ort: Stadtkino im Künstlerhaus, Wien 1, Karlsplatz 5
Organisator Erich Félix Mautner bittet um Anmeldung per Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Das IODE wird selbst mit weiß bemalten Darstellern auftreten.

 

Über den Hintergrund informiert die Interessengemeinschaft Freie Theaterarbeit

   

Der bildende Künstler und Dichter Günther Brus ist seit seinem legendären Stadtspaziergang am 6. Juli 1965 als Symbol des Bemühens der Kunstschaffenden um den öffentlichen Raum in die Kunstgeschichte eingegangen. Dabei ging er Minuten, weiß übermalt, ein schwarzer Stich von oben nach unten, ein kurzes Stück durch die Wiener Innenstadt. Der Schock der Boulevard-Medien und der Exekutive ist für heutige Verhältnisse kaum denkbar.

Heute verwendet die Stadt Wien die Fotos von Günter Brus' Spaziergangs-Happening in der Kulisse der Hofburg gerne als Dokument des liberalen Klimas, der Aufgeschlossenheit, der Modernität und der Freiheit der Kunst in der Walzerstadt. Kein Wort darüber, dass Brus wenige Minuten, nachdem diese Fotos gemacht wurden, von der Polizei festgenommen und empfindlich bestraft wurde.

Die Notwendigkeit der Inbetriebnahme des öffentlichen Raumes durch die Freiheit der Kunst und die freie Meinung hat in diesen Tagen neue Bedeutung bekommen. Wenn der Bundeskanzler einen Auftritt in den Bergen im Stile der Hansi-Hinterseer-Fan-Wanderungen ohne Schutzmaßnahmen und Abstand (auf eigene Weisung ausdrücklich ohne Polizei) ungestraft veranstaltet, andererseits drei Personen im selben Bundesland mit scharfer Waffe und Warnschüssen angehalten werden, weil sie zu nah aneinander gewesen sein sollen, dann ist erhöhte Aufmerksamkeit geboten! Wenn Polizisten in Ausübung ihres Dienstes wieder in der Öffentlichkeit dunkelhäutige Personen ermorden können, weil es der Regel des Racial Profilings entspricht, und sie dabei gar keine Schuldeinsicht juckt, dann ist es schon zu spät.

Dass der erste „Tag der Kunst im öffentlichen Raum" gerade in die Zeit der totalen Verbote und Bestrafungen und des faktisch totalen Verbotes von öffentlicher Kunstausübung und -Rezeption fällt, scheint also logisch. Tatsächlich wird diese längst fällige Initiative im Rahmen des „Institut ohne direkte Eigenschaften" unabhängig von der Aktualität schon seit einiger Zeit diskutiert und vorbereitet. Auslöser dazu war der 80. Geburtstag von Günter Brus, der in Österreich zuerst gejagt und bestraft wurde und heute von denselben Leuten als einer der wichtigsten lebenden Künstler gewürdigt und gefeiert wird.

Brus Day 1965 250

Kunst und öffentlicher Raum

Die Kunst muss sich den öffentlichen Raum, der sowieso dem Souverän, den Menschen, und nicht der Verwaltung gehört, nach wie vor mühsam erkämpfen. Deswegen soll der 6. Juli ab sofort als „Brus Day", als „Tag der Kunst im öffentlichen Raum", in des Wortes wahrstem Sinne, „begangen" werden. MusikerInnen sollen hörbar intervenieren! AutorInnen, wo auch immer, aus ihren Texten lesen und ihre Bücher anbieten! TänzerInnen, SchauspielerInnen, ArtistInnen werden auf öffentlichen Plätzen performen. Bildende werden ihre Staffeleien aufstellen, ausstellen, malen, zeichnen, portraitieren und modellieren. FotografInnen mögen den Tag, an dem sich die Kunst ihren Raum zurückerobert hat, dokumentieren. Usw. Das alles in der Öffentlichkeit. Ohne Gnadengesuch, ohne Behördenschikane, ohne Anmeldung, spontan!

Seitens der Künstlerschaft ist das Konzept österreichweit bisher schnell angenommen worden. Dieses ist zusammengefasst: Es gibt keinen Veranstalter, keine Organisation, keine Auftraggeber. Kunstschaffende treten an öffentlichen Plätzen, Gassen und Parks nach der Art der Flashmobs auf. Kurz, lang und/oder wiederholt.


Kunst und Recht

„Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei." (Artikel 17a. StGG)

„Gemäß Art 1 des Verfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit – PersFrG– hat jedermann das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit). Gegenstand der im PersFrG gewährleisteten Freiheit ist der Schutz der körperlichen Bewegungsfreiheit natürlicher Personen. In dieses Grundrecht wird eingegriffen, wenn durch eine behördliche Maßnahme einem Menschen die freie Entscheidung über seinen Aufenthaltsort beschränkt, er zu einen unfreiwilligen Verbleiben an einem bestimmten Ort verhalten oder ihm eine bestimmte Richtung aufgezwungen wird." (UVS Niederösterreich Senat-MB-01-0028)

„Keine Strafe ohne Gesetz (1) Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden." (KONVENTION ZUM SCHUTZE DER MENSCHENRECHTE UND GRUNDFREIHEITEN)

„Eine Strafe oder eine vorbeugende Maßnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die unter eine ausdrückliche gesetzliche Strafdrohung fällt und schon zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war." (Strafgesetzbuch)

„Als Verwaltungsübertretung kann eine Tat (Handlung oder Unterlassung) nur bestraft werden, wenn sie vor ihrer Begehung mit Strafe bedroht war." (Verwaltungsstrafgesetz)

„Erfolgen rassistische Beschimpfungen durch Polizeiorgane bei ihrem Einschreiten im Dienste der Strafjustiz, kann grundsätzlich nicht angenommen werden, sie wären vom richterlichen Befehl gedeckt. ... Wären die rassistischen Beschimpfungen tatsächlich erfolgt, könnte somit auch dadurch die Gewaltanwendung exzessiv und dadurch rechtswidrig gewesen sein." (Verwaltungsgerichtshof 2004/01/0133, vom 06.12.2007)

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden." (KONVENTION ZUM SCHUTZE DER MENSCHENRECHTE UND GRUNDFREIHEITEN)

„Die Ausübung von Zwangsgewalt zur Durchsetzung dieses Betretungsverbotes ist unzulässig." (Sicherheitspolizeigesetz)

„Der VfGH bleibt bei seiner Auffassung, dass eine Verpflichtung des Staates zum Schutz von Versammlungen und auch Wahlveranstaltungen besteht und die Behörden daher gehalten sind, diese vor Störungen durch Dritte zu schützen (VfGH V105/2014)

„Das Mediengesetz proklamiert Plakat-Freiheit und bezieht sich gleichzeitig nur auf Gedrucktes, das könnte ein Ausweg sein, Plakatierverhinderungen durch Handgeschiebenes oder -gemaltes, eben nicht Gedrucktes, zu umgehen!!!" (KUNST SOLL STADT FINDEN)

„Es handelte sich somit um keinen in einem Massenherstellungsverfahren vervielfältigten Träger von Mitteilungen oder Darbietungen mit gedanklichem Inhalt, weshalb bereits aus diesem Grund eine Bestrafung nach der Plakatierverordnung nicht in Betracht kam." (UVS Steiermark 30.11-50/2011)

„Die Tatbestände der Wr ReinhalteV 1982 sind im Hinblick auf deren Charakter als ortspolizeiliche Verordnung verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß sie ausschließlich der Mißstandsbekämpfung dienen. Das Verhalten des Beschwerdeführers in der beschriebenen Art (einseitig klebendes, nur an den Rändern festgemachtes Klebeband) erreicht aber nicht die Qualität eines Mißstandes im Sinne des §1 Abs1 und Abs2 der Wr ReinhalteV 1982. Eine Auslegung des §1 Abs1 und Abs2 der Wr ReinhalteV 1982, die jede Form von „Bekleben" strafbar machen würde, ohne auf die Abwehr eines Mißstandes abzustellen, verbietet sich aus verfassungsrechtlicher Sicht." (VfGH B339/97)

„... das Verbot auch stiller Formen der Bettelei, also des „Erbittens" von Hilfe, nicht zu rechtfertigen. Dieses an öffentlichen Orten ausnahmslos zu verbieten, ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig" (VfGH G155/10)

„Als freie Veranstaltungen kommen bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 1 und 2 insbesondere in Betracht: [...] h) Darbietungen von Straßenkunst" (Kärntner Veranstaltungsgesetz)

„Nun dispensiert freilich auch eine künstlerische Betätigung nicht schlechthin von der Einhaltung der Vorschriften des ArtVIII EGVG, doch ist die Behörde bei Anwendung dieser Verwaltungsstrafnorm aus verfassungsrechtlichen Gründen gehalten, die Tatsache, daß es sich bei der inkriminierten Tätigkeit um eine im Schutzbereich des Art17a StGG liegende Betätigung handelt, abwägend zu berücksichtigen." (VfGH B1218/86)

„Das Recht der freien Meinungsäußerung umfaßt auch, jene Ideen auszusprechen, die verletzen, schockieren oder beunruhigen; dies verlangen Pluralismus, Toleranz und Weitsichtigkeit, ohne die es keine demokratische Gemeinschaft geben kann. Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Rechte sind besonders sorgfältig abzuwägen; die Verletzung dieser Pflicht kann Amtshaftungsansprüche zur Folge haben." (Bsw18788/09)

„Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein." (6Ob47/15b)

„Eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte würde zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen." (1 Ob 536/88)


„Das verfassungsgesetzlich geschützte Recht auf Versammlungsfreiheit gewährleistet nicht bloß, sich zu versammeln, sondern auch versammelt zu bleiben, also nicht auseinander gehen zu müssen." (VfGH B1382 und 1383/6)

„Die Versammlung wurde zwar gegen die Vorschriften des Versammlungsgesetzes veranstaltet, da sie nicht gemäß § 2 leg cit angezeigt worden war, jedoch berechtigt dies im Hinblick auf Art 11 Abs 2 MRK ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht ihre Untersagung oder Auflösung. Es müssen konkrete Umstände hinzukommen, die eines der Schutzgüter des Art 11 Abs 2 MRK verletzen könnten (zB die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Verbrechensverhütung, den Schutz der Gesundheit und der Moral oder den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer)." (UVS Steiermark, 20.3-19/2007)

 

 

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