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Als Motto der Ausstellung hat die Künstlerin folgendes Zitat gewählt: „Es gibt keine Wirklichkeit als die, die wir in uns haben.“ Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich hier die Worte des großen Schriftstellers Hermann Hesse richtig stelle. Aber ich hoffe doch, dass es auch eine Wirklichkeit gibt, außerhalb von uns, über die wir uns einig sind. Das was wir in diesem Hotel erleben oder das, was wir vor dem Hotel sehen: die Berge, den Weissensee, über den wir streiten können ob er weiß ist oder nicht, aber der mit Sicherheit ein See ist.

 

Ich will vorweg kurz abschweifen, weil zu bemerken ist, dass die Sprache mehr und mehr verkommt und viele Begriffe schwammig oder falsch verwendet werden, und oft geradezu eine babylonische Sprachverwirrung herrscht. Dazu drei Beispiele.

 

Andrea M Eroeffnung 500

Foto v.l.n.r.: Sabine Loy, Andrea Matheisen, Hubert T., Florian Klinger

 

(1) Viel diskutiert wird heute das Thema Burka und die Frage nach einem Burkaverbot. Nun wird ausgerechnet von jenen, die Jahrzehnte lang für die Emanzipation der Frau gekämpft haben, das Recht der Frauen, eine Burka zu tragen, mit dem Hinweis auf die Religionsfreiheit verteidigt. Ich finde, in dem Punkt sind wir jenseits der Sprachverwirrung schon bei einer geistigen Verwirrung angelangt. Einen Akt der Unterdrückung durch religiöse Dogmen mit dem Argument der Freiheit der Religionsausübung zu verteidigen und zu legitimieren ist abstrus.

 

(2) Kürzlich war eine Dokumentation im TV, bei dem ein Schwarzafrikaner (Neger darf man heute nicht sagen, weil es  die Sprachpolizei verboten hat – und ich möchte betonen, dass ich mich mit dem Appel für eine klare Sprache nicht als Vertreter der Sprachpolizei sehe) vor die Aufgabe gestellt wurde, von 12 grünen Farbkreisen einen zu erkennen, der sich nur minimal unterscheidet. Er hat die Wahl sofort richtig getrofffen. Der Grund dafür: in der Savanne sind feinste Grün-Nuancen von Bedeutung und die Testperson hat in ihrer Stammessprache auch viele verschiedene Bezeichnungen dafür. Danach wurden 11 graue und ein blauer Farbkreis gezeigt, und der Afrikaner hatte größte Schwierigkeiten denjenigen auszuwählen, der sich unterscheidet. Jetzt könnten jemand fordern, wir dürfen nicht alles eurozentristisch sehen und müssen die Kunstgeschichte neu schreiben. Blau in den Bilder oder gar die blaue Periode von Picasso in ihrer Bedeutung sind demanch zu relativieren. Wir können aber auch ganz einfach sagen, wer vor hat in die Savanne zu übersiedeln, soll seine blauen Bilder zu hause lassen. Und auch umgekehrt, wer aus der Savanne zu uns kommt, der muss auch sehen und verstehen lernen, was blau bedeutet.

 

(3) Mit dem dritten Beispiel nähern wir uns der heutigen Ausstellung. In der Kunstszene wird oft Preis und Wert gleich gesetzt. Es wird behauptet, ein Kunstwerk, das einen hohen Preis hat, hat einen hohen Wert. Ein bekannter Museumsdirektor behauptet sogar: das teuerste Kunstwerk ist das wertvollste, das zweit-teuerste das zweit-wertvollste usw. Das bedeutet im Umkehrschluss: Kunstwerke die wenig kosten, sind wenig wert oder – in Relation zu teuren Werken – gar nichts wert.

 

Wer sich nun in der Ausstellung von Andrea Matheisen umsieht wird sicher zum Schluss kommen, dass es sich um wertvolle Exponate handelt. Dafür muss man gar kein Kunsthistoriker sein. Unzweifelhaft hohen Werten stehen relativ niedrige Preise gegenüber. Ich war ja immer der Meinung, dass Preis und Wert nicht viel miteinander zu tun haben. Mittlerweile bin ich aber zu dem Schluss gekommen, dass Preis und Wert überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Zumindest im Bereich der bildenden Kunst kann ich diese Behauptung, die phänomenologisch ganz einfach begründet werden kann, auch mit vielen empirischen Beispielen belegen.

 

Der Titel der Ausstellung lautet „GEHIMMELT UND GEERDET“. Mein Appell für einen exakten Umgang mit unserer Sprache soll das spielerische Experimentieren mit der Sprache nicht ausschließen. So wie beim Titel der Ausstellung. Jeder versteht, was man unter geerdet versteht. Aber was bedeutet „gehimmelt“? An-gehimmelt, so wie die Götter und Halbgötter der Modewelt, die Andrea als ehemalige Designerin gut kennt? Weitere Assoziationen sind Himmel und Hölle, im siebten Himmel oder jemandem das Blaue vom Himmel zu versprechen.

 

Eine der Bronzeskulpturen trägt den Titel der Ausstellung. Es ist ein großer Vogel mit langen Beinen auf dessen Rücken ein kleiner Mensch steht, der versucht abzuheben. Der Vogel steht fest mit beiden Beinen, ist geerdet, so wie alle Figuren von  Andrea. Es ist durchaus bemerkenswert, wie sie diese Idee in den Figuren realisiert. Andere Künstler würden für ähnliche Figuren einen massiven Sockel benötigen, damit sie nicht umkippen. Die Figuren von Andrea stehen dagegen auf ihren eigenen Beinen – buchstäblich und im übertragenen Sinn.

 

Zurück zur Figur „gehimmelt geerdet“. Sie steht stellvertretend für das Leben von Andrea, in dem sich vieles gewandelt und gedreht hat Als Designerin musst sie sich auf die Oberfläche, die Äußerlichkeiten kümmern um Karriere zu machen, sich von anderen Designern abzuheben. Als Künstlerin hat sie diese Welt hinter sich gelassen. Nicht mehr den bunten Vögeln der Modebranche will sie Flügel verleihen, sondern sie selbst will den Himmel erreichen. Nicht um angehimmelt zu werden, sondern vielmehr um sich selbst zu finden, ihr eigenes Paradies, oder anders gesagt: ihren Himmel auf Erden.

 

Wichtige Figuren in dieser Ausstellung sind auch die Könige. Der König ist für Andrea kein einsamer Herrscher weit weg von seinem Volk. Könige sind wir alle, so wie es das Ideal des Weissenseer Hofes ist: jeder Kunde ist König, egal ob er in seinem profanen Beruf Bauer oder Landeshauptmann (die zeitgenössische Form eines König) ist. Die Krone steht nicht für den Reichtum des Königs, sondern für das Himmlische - weniger religiös formuliert: für die Ebene über den irdischen Bedürfnissen, insbesondere unsere Ideale, für die wir uns engagieren. Der Wert der Krone ist demnach nicht der hohe Preis für das Gold, aus dem die Krone ist, sondern der Wert der Krone verweist auf die  Wertschätzung. Eine Wertschätzung, die wir einem König selbstverständlich entgegen bringen, die wir aber jedem Menschen wie einem König entgegenbringen sollten.

 

In diesem Sinne sind alle Skulpturen von Andrea gehimmelt und geerdet. Sie sind anschaulich, standhaft und bodenständig, realistisch, wenn auch die Beine überzeichnet und die Köpfe reduziert sind. In ihren Bildern auf Leinwand  verstärkt sie die Abstraktion von der sichtbaren Welt, der äußeren Wirklichkeit, über die wir anfangs gesprochen haben. Diese Bilder sind Zeugnisse von Andreas Suche nach dem Himmel, nach ihrem Himmel, nach Hermann Hesse: ihrer inneren Wirklichkeit. Genauer gesagt: ihrer inneren Wahrheit.  Andreas prozesshafte Malerei zeigt die Schritte der Selbstfindung. Meist trägt sie viele Schichten übereinander auf, neben Farben auch Materialien wie Marmormehl oder Kaffee, und fast immmer kommt ein Gesicht zum Vorschein. Selbstporträts – nicht im Abbild, sondern im Ausdruck.

 

Andrea Matheisen in Kärnten 500

 

Bei dieser Art der Malerei ist am Anfang noch nicht sicher, wie das Endergebnis aussehen wird. Die Künstlerin muss daher den richtigen Augenblick finden, abzubrechen. Die Bilder von Andrea zeigen, dass sie diesen Zeitpunkt immer richtig wählt, woraus ich den Schluss ziehe, dass sie ihre innere Wahrheit in ihrer Mitte gefunden hat. Als Persönlichkeit und als Künstlerin. So sehen wir hier authentische Kunstwerke, zu denen ich gratuliere und für die ich viel Erfolg wünsche.

 

Die Ausstellung im Bio-Vitalhotel Weissenseerhof ****s
Neusach 18, A-9762 Weissensee (Kärnten)
läuft bis Mai 2017.

Am 27. Mai 2017 wird die nächste Ausstellung, eine Personale von Franz Strauss eröffnet. Das Hotel bietet für dieses verlängerte Wochenende (Donnerstag, 25. Mai, Christi Himmelfahrt) vergünstigte Kunst&Genuss-Angebote.

 

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