Preisfrage: Warum sind viele schlechte Bilder bekannter Künstler extrem teuer, während viele gute Bilder weniger bekannter Künstler sehr billig zu haben sind? Wer macht einen Top 100-Künstler zu einem solchen, und wie viele Top 100-Künstler gibt es weltweit? Diese Fragen beantwortet Hubert Thurnhofer, Leiter des Kunstraums Ringstrassen-Galerien auf der GEWINN-Messe (18./19. Oktober 2012) sowie in einem Artikel für Leser von medianet.
Der Artikel, der am 16. Oktober 2012 in MEDIANET erschienen ist, hier im Wortlaut:
Kunst als Investment – ein Tabu?
Warum sind viele schlechte Bilder bekannter Künstler extrem teuer, während viele gute Bilder weniger bekannter Künstler sehr billig zu haben sind? Wer macht einen Top-100-Künstler zu einem solchen, und wie viele Top-100-Künstler gibt es weltweit?
„Kunst als Investment gilt in Österreich immer noch als Tabu“, schrieb jüngst Eva Komarek, die es wissen muss, da sie für das WirtschaftsBlatt seit vielen Jahren über den Kunstmarkt berichtet. Kann man daraus den Schluss ziehen, dass in Österreich nur Kunst als Fehl-Investment gesellschaftliche Anerkennung findet? Weniger sophistisch: warum ist dieses Tabu so hartnäckig?
Kunst wird offenbar als Gegenstand außerhalb der Realwirtschaft betrachtet, über dessen Preis man nicht spricht. Oder nur dann, wenn ein Kunstwerk zu einem Rekordpreis versteigert wurde. Doch die Frage der Preisbildung, die in jeder anderen Branche von Einkäufern und Verkäufern ganz offen diskutiert wird, bleibt im Kunstmarkt ausgeblendet. Es ist daher kein Wunder, dass die Mehrheit der „Normalbürger“ den Kunstmarkt als intransparent betrachtet und deshalb meidet.
Anstelle nachvollziehbarer Argumente kursieren Mythen, die gerne von Galeristen und sonstigen Experten zitiert werden:
- Gute Kunst findet immer einen Abnehmer. Aber: bei allen Auktionen – und Auktionshäuser legen Wert darauf, nur „beste Ware“ anzubieten - bleiben Werke liegen. Heißt das, dass diese nicht „gut“ oder „gut genug“ waren?
- Ein hoher Preis ist die Garantie für hohe Qualität und einen hohen Wert. Aber: es gibt auch schlechte Qualität, die zu hohen Preisen verkauft wird. Warum wagt es niemand, die Qualität teurer Kunstwerke anzuzweifeln?
- Die Preise sind hoch, wenn der Künstler weltbekannt ist. Es kann schon sein, dass ein Künstler neben seinem Heimmarkt schon in mehreren Ländern ausgestellt hat, aber ist er deshalb schon „weltbekannt“?
Preis und Wert
Viele „Normalbürger“ sind der Meinung, dass Preis und Wert bei Kunstwerken nicht viel miteinander zu tun haben. Sie irren! Preis und Wert haben überhaupt nichts miteinander zu tun. Man könnte sogar sagen, es gilt die Inversion des Baumax-Slogans: großer Preis und kleiner Wert. Die Wert-Bestimmung ist eine Beurteilung, die eine subjektive Wertschätzung oder eine künstlerische bzw kunsthistorische Einschätzung beinhaltet. Die Bewertung des Kunstwerkes umfasst Kriterien wie Ästhetik, Idee, Stil, Orignalität, Technik, Erhaltungszustand, Provenienz. Der Preis hängt tatsächlich vorwiegend vom Namen des Künstlers ab, an die Stelle der Be-Wertung tritt die Be-Preisung, und die richtet sich nach bisherigen, publizierten Auktionsergebnissen. Wobei bei der „Berühmtheit“ gerne ein bisschen geflunkert wird, denn „weltberühmt“ heißt oft nur „weltberühmt in Österreich“. So publizieren „Format“ und „Gewinn“ einmal järhlich Listen der Top-100-Künstler Österreichs und die Galeristen, die diese Künstler auswählen (und in der Regel auch vertreten) tun so, als wären diese Künstler die Top 100 der Welt, zumindest der relevanten Kunst-Welt.
Wenn wir aber davon ausgehen, dass jedes Land seine eigenen Top-100-Künstler hat, so sind allein die Top-100 aller Länder (bei etwa 200 Staaten) in Summe 20.000 Künstler! Anders gesagt: Lassnig, Rainer, Nitsch, Wurm und West sind nicht 100 von 100, sondern 100 der 20.000 weltweit bekanntesten Künstler. Wenn aber allein die 100 bekanntesten Künstler aller Länder weltweit 20.000 sind, was bedeutet dann „bekannt“? Bekannt in welchem Land, bekannt in welchem Kreis, bekannt in welchem (Insider)Zirkel? Wann immer die Bekanntheit als Hauptkriterium für einen hohen Preis angeführt wird, ist Vorsicht geboten. Google kann in der Frage der Bekanntheit einen schnellen „Wahrheitsbeweis“ liefern – mit heutigen Smartphones jederzeit in jeder Galerie abrufbar! Maria Lassnig – 85.100 Suchergebnisse, Friedensreich Hundertwasser - 620.000 Suchergebnisse, Damien Hirst – 4,13 Millionen!
Investment-Strategien
Für alle, die in Geld schwimmen gilt natürlich: das teuerste Kunstwerk ist gerade gut genug. Es gibt aber auch hier keine Garantie auf Werthaltigkeit, wenn man kurzfristig Liquidität benötigt. Aber das gilt ja für alle Anlagen, die man unter Zeitdruck verkaufen muss. Wenn man den Betrag für eine Wohnung statt dessen in einer Kunstsammlung anlegt, so kann man sich immer wieder Liquidität verschaffen, während eine Wohnung nur ganz oder gar nicht verkauft werden kann.
Kunstwerke, die einmal oder sogar mehrere Male bei Auktionen durchfallen, sind als unverkäuflich stigmatisiert. Der Schätzpreis (das ist keine Angabe über den Wert eines Kunstwerkes, sondern eine Prognose über den wahrscheinlich in der Auktion erzielbaren Preis) ist dann kaum noch durchsetzbar. Das ist der richtige Zeitpunkt zu kaufen, denn der Wert eines Kunstwerkes ändert sich ja nicht, wenn sein Preis verfällt. Das könnte man durchaus als Investment-Strategie definieren: kauf Werke, die in der Auktion liegen geblieben sind, günstig im Nachverkauf. Zehn Jahre später hat sich das Stigma mit Sicherheit verflüchtigt.
Künstler, die noch nicht in Auktionshäusern gehandelt werden, aber schon ihren Markt über Galerien abgesteckt haben, sind im Schnitt um das zehnfache günstiger als Künstler, deren Werke bereits im Sekundärmarkt kursieren. Man kann daher in Primär-Galerien fast immer unterbewertete Künstler finden. Manche Schlaumeier glauben, sie können nach einer Galerie-Vernissage im Atelier des Künstlers zu halben Preisen einkaufen. Künstler, die auf solche Deals eingehen, schießen sich ins eigene Knie, denn sie werden sich nicht lange auf dem Markt halten. Und Investoren graben sich mit dieser Strategie das eigene Wasser ab, wenn sie den Marktemaker austrocknen.
Just for Fun. Nach diesem Motto kann man Kunst ganz junger Künstler kaufen. Laut diverser Untersuchungen setzen sich nur fünf Prozent aller Absolventen von Kunstakademien im Kunstmarkt durch. Falls die Studenten oder Jung-Absolventen nicht schon völlig abgehobene Preisvorstellungen haben, kann man an einer schönen Arbeit lange Freude haben. Falls sich nach zwei Jahrzehnten der eigene Geschmack geändert hat und der Künstler von der Bildfläche verschwunden ist, kann man es immer noch seinem Lieblings-Feind schenken.
Rauch und Neo Rauch
„Rauch“ heißt ein Bild von Nick Lörcher, das in mehrfacher Hinsicht den Kunstmarkt unserer Zeit widerspiegelt. Ein älterer Mann betrachtet ziemlich gelangweilt eine schlafende Frau – ist er Voyeur oder Teilnehmer eines Kunst-Happenings? Zwei Jünglinge beobachten sie mit offenbar größerem Interesse. Sind sie Teil der Aktion oder des Publikums? Auf den ersten Blick erscheint die Arbeit rauchig, düster. Wenn man den LED-Hintergrund zuschaltet, dann treten klare Linien und Farbkontraste zu Tage. Der alte Mann im Bild hält eine Zigarette, deren Rauch nun wie eine Flamme das Bild dominiert. Soweit die Beschreibung dessen, was man sieht. Das Motiv erschließt sich dem Betrachter aber erst durch die Information, dass Lörcher in seinem Bild eine Arbeit des Barockmalers Sebastiano Ricci (der auch in Wien tätig war) zitiert, die „Schlafende Nymphe von zwei Satyrn betrachtet“.
Welche Rolle spielt es, dass „Rauch“ von Nick Lörcher und nicht von Neo Rauch stammt? Diese Frage ist zwar abwegig, aber nicht völlig sinnlos, denn sie führt uns auf Abwege, denen zahlreiche Sammler folgen, die oft unbegreiflich hohe Preise zahlen. Neo Rauch, das Aushängeschild der Leipziger Schule, hat vor zehn Jahren wie eine Rakte abgehoben. Er ist einer jener Künstler, der Anfang dieses Jahrhunderts in kürzester Zeit seine Preise verhundertfachen konnte. Und er ist damit eine Ausnahme. Das wird in der Berichterstattung über Rekordpreise meist übersehen, so dass dem Leser suggeriert wird, dass jedes Kunstwerk exponentiell im Preis steigt, ja sogar steigen muss, sonst ist es nichts wert. Wenn so ein Leser dann von einem Galeristen Garantien auf derartige Preissteigerungen erwartet, wird er wohl enttäuscht abziehen, bestärkt in der Meinung, dass der Kunstmarkt nach undurchsichtigen Regeln abläuft.
Nick Lörcher (Google findet 778 Ergebnisse) schafft hochwertige Arbeiten, die man in einer Bewertung jederzeit mit Werken von Neo Rauch (321.000 Suchergebnisse) vergleichen kann. Aber für die Bepreisung seiner Arbeiten spielt die Bewertung keine Rolle, denn würde sie eine Rolle spielen, so könnten die Preise nicht derartig eklatant voneinander abweichen. Wer also nicht auf Namen schaut, sondern sich auf Inhalt und Form der Kunstwerke einlässt und über die Jahre einen eigenen Geschmack entwickelt, der kann zu sehr günstigen Preisen eine hochwertige Sammlung aufbauen.
WEITERE INFOS: Kunst als Kapitalanlage (ARD/DasErste)