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Prof. Dr. Philipp Maurer

Eröffnungsrede zur Ausstellung

Tonia Kos – Alfred Biber, „Die Mitte des Lebens“ am 22. August 2012

der Kunstraum, 1010 Wien

Die Mitte des Lebens – ein seltsam anmutender Titel einer Ausstellung, wenn wir erfahren, dass die beiden KünstlerInnen bald – er ein bissel früher, sie ein bissel später im Jahr – ihren 70. Geburtstag feiern. Aber: der Titel der Ausstellung meint nicht die Mitte des Lebensalters, sondern den Mittelpunkt der Lebenstätigkeit der beiden KünstlerInnen.

Der Geburtstag ist auch Anlass zu gewisser Nostalgie: Ich habe etliche Ausstellungen der beiden in der Kleinen Galerie in der Neudeggergasse organisiert, mehrmals zu Ausstellungen der beiden gesprochen – auch hier: die Beziehung zu den beiden KünstlerInnen steht auch in der Mitte meines Lebens. In meinem Arbeitszimmer hängt ein Bild von Biber – ein übermalter Akt – neben einem von Tonia Kos bemalten alten Holzbrett, das aus ihrem Haus im Weinviertel stammt.

Beide produzieren Bilder, die uns sinnlich ansprechen und die, um einen Satz von Max Raphael ein bissel drastischer zu formulieren, schon auf den ersten Blick wie ein Faustschlag in die Magengrube wirken. Beide haben schon vor vielen Jahren, mehreren Jahrzehnten, ihren künstlerischen Mittelpunkt gefunden, beide arbeiten sich an und um diesen Mittelpunkt ab, beide haben unverwechselbare Positionen eingenommen, unverwechselbare Handschriften entwickelt und ein künstlerisches Œuvre von großer formaler und inhaltlicher Geschlossenheit vorgelegt. Das heißt nicht, dass es nicht Entwicklungen gab, deutlich sichtbare Entwicklungen im Detail, in spezifischen Sichtweisen, in der formalen Umkreisung des ideellen, an sich unerreichbaren Mittelpunktes des Lebens, in der Annäherung an das ideale Kunstwerk und an das Ideal.

Wir sind unversehens bei philosophischen Fragestellungen angekommen – mit Kants „Kritik der Urteilskraft“ in der Hand könnten wir fragen, wie sich Kunst zum Ideal verhalte, was unser Wohlgefallen erregt und unsere Sinne bewegt, welche Fragen Kunst stellen oder gar beantworten darf / soll / muss. Dem allen wollen wir nicht nachgehen, wir wollen vielmehr jene „Mitte des Lebens“ umkreisen, die wir in den Bildern sinnlich wahrnehmen können.

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Ich fange mit Alfred Biber an, weil der Zugang zu seinem Werk vielleicht leichter ist als der zu dem von Tonia Kos:

Bibers „Mitte des Lebens“, sein lebenslängliches Gegenüber, sein künstlerischer Ansprechpartner und sein künstlerischer Reibebaum sind zuerst einmal die Bilder – gemalte und fotografierte Kunst-Bilder, Museums-Bilder, Mode-Bilder, Akt-Bilder. Alle Bilder sind für ihn sinnlich, erotisch, sie wirken auf ihn – auf die Mitte des Leibes, die die Mitte des Lebens ist. Die Bilder greifen ihn an, attackieren ihn, verstören, beunruhigen ihn, verunsichern ihn.

Und da schlägt Biber, nachdem er solche Bilder unter großem Kraftaufwand jahrelang selbst gemalt hatte, zurück. Er attackiert sie, vernichtet sie, beleidigt sie – er übermalt sie, er überschüttet sie mit Farbe.

Damit taucht der Name Nitsch auf – ein Freund Bibers, mit Nitsch wird Biber manchmal verglichen, an Nitsch wird er gemessen. Aber es ist nur dasselbe Malmittel, das die beiden Künstler verwenden: den Gestus des Schüttens – Biber schüttet selten, meistens malt er! – das aktionistische Agieren, das Übermalen.

Aber Biber übermalt nicht, wie Rainer, Werke anderer Künstler oder Fotos, oder wie Nitsch alte Ritualbehelfe wie Kutten, Soutanen, sondern er übermalt eigene Bilder – selbst mühevoll hergestellte Kopien nach alten Tafelbildern oder Fresken und nach modernen Fotografien, meist Modefotos oder Akten.

Nitsch macht Grundlagen unserer Kultur – die antike Mythologie und die christliche Religion – sichtbar mit den ins Malerische übersetzten Mitteln der Psychoanalyse;

Biber macht Strukturen des visuellen Ausdrucks unserer Kultur sichtbar mit den Mitteln der Malerei selbst.

Nitsch verherrlicht mit seinen Aktionen die Rituale, die Religion, ihre Wurzeln und ihre Gegenstände; Biber vernichtet die Bild-Rituale.

Und darin liegt die Tragik in Bibers Kunst: er vernichtet Bilder und Bild-Rituale, und doch entstehen bleibende Bilder, entsteht Kunst von hoher ästhetischer und sinnlicher Qualität. Es entsteht also etwas Drittes, das Hegel beschrieben hat, nämlich die Aufhebung der Gegensätze in der Synthese. Das alte Bild ist vernichtet, der Akt der Vernichtung hat den Akteur befriedigt, und das Ergebnis enthält in sich das Alte, die Aktion und die neue ästhetische Form.

Diese Form hat sich gewandelt im Laufe der künstlerischen Entwicklung Bibers. Früher waren es Morgensterne, aggressive Zeichen, die sich den Bildern einprägten – heute sind es eher gelassen wirkende, oftmals symmetrische Formen, die an archaische Symbole erinnern.

Der Kampf dauert schon lange, der Kämpfer wird müde und abgeklärt, seine Zeichen widerspiegeln die Erfahrungen in Kunst und Leben. Sie sind einfacher, präziser, prägnanter geworden. Sie sagen mit einem Strich, wozu früher ein ganzes Strichbündel, ganze Pinselflächen notwendig waren.

Tonia Kosʼ Arbeiten beeindrucken auf den ersten Blick durch eine gewisse Atmosphäre, ein Geheimnis, ein Rätselhaftes, Spontanes und doch streng Komponiertes. Diese Wirkung stammt aus dem inneren ästhetischen Dialog, den Tonia Kos mit ihrem lebenslänglichen Gegenüber, ihrem Ansprechpartner und Reibebaum führt: nämlich mit der Kunst an sich, den Farben, Formen und Kompositionen, die sie vorfindet und die sie neu erfindet und mit denen sie das Ihre, ihre Ideen, ihre Gedanken, die sich um das Leben und die Form und Inhalte der Kunst drehen, formulieren will.

In der Kunst geht es ihr um das Festmachen und das Überschreiten von Grenzen – materielle und geistige Grenzen, um das „Transzendieren ohne Transzendenz“, wie Konrad Paul Liessmann über ihre Kunst geschrieben hat. Und es geht ihr darum, im Sinne Kandinskys das Geistige und Emotionale in der Form festzumachen.

Auch hier sehen wir Paare, sogar Gegensatzpaare, die in Tonia Kos Kunst wirken:

Die Vitalität des Pinselstriches und der Farbe drücken oft Trauer und Melancholie aus; die Material- und Technikvielfalt – Leinwand, Farbe, Teerpappe, Karton, Holz, Papier, Druckgraphik – wirkt oft dunkel, undurchschaubar, lädt aber ebenso wie die vitalen und die melancholischen Elemente zur Kontemplation ein. Und aktionistische Partien kontrastieren mit der formal festgefügten Konstruktion.

Das „Wie“ und das „Was“ harmonieren und kontrastieren gleichzeitig.

Kandinsky: „Wenn das ‚Wie‘ die Seelenemotionen des Künstlers einschließt und fähig ist, sein feineres Erleben auszuströmen, so steht die Kunst schon an der Schwelle des Weges, auch das ‚Was‘ wiederzufinden, das ‚Was‘, das ein künstlerischer Inhalt, die Seele der Kunst sein wird.“ (gekürzt, aus: Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst)

Der innere Klang der Materialien, der Farben und Formen trägt die Idee, die Emotion, die Botschaft, „die Form ist die Äußerung des inneren Inhalts“ (Kandinsky, a.a.O.).

Tonia Kosʼ Formen, Inhalte, Aussagen sind rein auf die Kunst bezogen, sind trotz oder gerade wegen ihrer Vitalität und Dynamik in sich ruhend, sie sind kontemplativ. Sie beziehen überhaupt nichts Transzendentales, Numinoses in sich ein, verweisen auf keine Göttlichkeit, aber durch ihre Rätselhaftigkeit und durch ihre Verweigerung, das Rätsel zu lösen, verweisen sie doch wieder auf Transzendentales, nämlich auf die Kunst an sich als numinosen Wert.

Dieses ist, um es wieder mit Hegel zu sagen, die Synthese aus den vorgefundenen und erarbeiteten Kunst-Materialien, Kunst-Techniken und Kunst-Formen mit den ästhetischen und vitalen Ideen der Tonia Kos.

Meine Damen und Herren, bitte begeben Sie sich nun auf die Suche nach der „Mitte des Lebens“ in diesen Kunstwerken, folgen Sie den KünstlerInnen dorthin, genießen Sie, staunen Sie, erleben Sie Neues, und nicht zuletzt, um wieder auf den Boden der Realität zurückzukommen: kaufen Sie!

Ich wünsche der Galerie und den KünstlerInnen viel Erfolg!

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