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Ein Sammler-Porträt von Lutz Herrschaft

Gehäutet, zerrissen, vielleicht noch lebend schauen sie einen an: Ziegen, Vögel, Hasen. Wir haben uns doch an sowas gewöhnt, sagt Karminsky. IS-Enthauptung, dann Fußball und das Wetter. Die klaren Augen der gemetzelten Tiere, ohne Angst, fast friedlich. Ein fotorealistisches Stillleben wie ein Faustschlag. Igor Pestov heißt der Künstler, Karminsky hat ihm das Bild abgekauft, um Galerien macht er einen Bogen.

 

Karminsky lebt seit 1980 in Offenbach am Main, einer Frankfurt benachbarten 140 000-Einwohner-Stadt, deren Imageproblem längst folkloristische Züge angenommen und unter dem Rubrum „Arrival City“ 2016 auf der Architekturbiennale Venedig reüssiert hat. Karminsky jedenfalls ist in Offenbach nie richtig angekommen, er lebt halt dort und würde am liebsten nach Tschechien ziehen. Aus Czernowitz stammt er, das liegt in der Bukowina, einst Habsburgerrreich, dann UdSSR, jetzt Ukraine. Ein kleiner drahtiger Mann Anfang 60, Biker. Suzuki Hayabusa, I-Phone in die Hemdtasche und Videokamera laufen lassen, Serpentinen im Taunus und dann mit 300 über die Autobahn. Warum er noch die langweilige BMW hat, ist nicht zu ermitteln.

 

Seine Eltern sind zu Besuch. Der Vater 88 Jahre alt, eiserner Händedruck, der Mann war Küfer. Karminsky würde die Eltern gern nach Deutschland holen, sie leben in Israel, doch die Behörden sperren sich, sagt Karminsky. Er hat es damals hingekriegt, Militärdienst bei der israelischen Marine, dann Offenbach, dort Dreher in einer Fabrik, Kneipier in Frankfurt. Und Kunstsammler, spezialisiert auf Werke russischer resp. sowjetischer Provenienz.

 

Karpov und Kasparov spielen 1985 Schach. Sowjetmensch vs. Dissident. Der Röhrenfernseher flimmert, die Bilder laufen durch. Das war mehr als ein Schachspiel, die Gesellschaft war unter Hochspannung, sagt Karminsky. Und schon fingen die Fernseher an zu spinnen. Ein Bild von Eduard Gorokhovsky. Das war der Mann, der aus dem Fabrikarbeiter und Kneipier Michael Karminsky einen Kunstbesessenen machte. Der ihm von der „Bulldozer-Ausstellung“ 1974 erzählte, als die Staatsmacht eine Ausstellung regimekritischer („nonkonformistischer“) Künstler im Moskauer Ismailow-Park plattmachte. Deren Initiatoren Oscar Rabin und Juri Jarkikh gingen ins französische Exil. Karminsky hat viele Bilder von ihnen.

 

Karminsky und Gorokhovsky ergänzten einander. Karminsky machte Behörden handsam, organisierte Reifenwechsel am Auto, solches Zeug. Gorokhovsky wiederum führte den Praktiker in die Welt der Kunst ein. 2004 ist Karminskys „zweiter Vater“ gestorben, den stylischen Grabstein mit stilisierter Staffelei hat Karminsky entworfen. Das ungewöhnliche Bildnis wurde gegen den Widerstand der Frankfurter Jüdischen Gemeinde durchgesetzt.

500 Karminsky Sammlung

Sein Loft liegt am Rande der Innenstadt, direkt neben einem großen Polizeirevier. Es ist mit Kunst tapeziert, Petersburger Hängung aufgrund von Platznot. Im Depot lagert noch viel mehr. Und der Wert? Bilder von Oscar Rabin etwa gingen noch vor zehn Jahren bei Sothebys et alii für einen mittleren sechsstelligen Betrag weg, heute sind die Preise niedriger, zu viel auf dem Markt, sagt Karminsky.

 

Allerdings hat der Kunstmarkt mit russischer Ware auch ein massives Problem. Daß sich etwa die Schwemme der Kandinskys, Jawlenskys oder Malewitschs weniger Funden in Datschas ehemaliger KGB-Größen als vielmehr einer Fälscherindustrie verdankt, ist nur allzu bekannt. Nicht zuletzt patriotisch gesinnte Oligarchen fielen reihenweise auf sie rein, auch Wladimir Putin soll ein gefälschtes Bild erworben haben. Doch nicht nur die Heroen des frühen 20. Jahrhunderts werden gern und oft kopiert. Karminsky erzählt eine Geschichte.

 

Man habe ihn als kunstverständigen Dolmetscher angefragt. Da komme ein älterer Herr aus Moskau, seines Zeichens Experte für die Bilder Iwan Schischkins, des Doyens der russischen Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Der Mann gehört zum Kanon, ein Schischkin-Bild ziert gar einen russischen Schokoriegel, es zeigt einen Kiefernwald, in dem Braunbärenbabies herumtollen. Die Bären hat allerdings schon vor gut 130 Jahren ein anderer Maler hinzugefügt, angeblich, weil Schischkin nur Landschaft, aber keine Tiere konnte.

 

Der Experte habe deutschen Händlern die Provenienz eines angeblichen Schischkin testieren sollen, dies aber schon beim ersten flüchtigen Blick verweigert. Die Händler hätten Karminsky gefragt, ob der Experte vielleicht etwas genauer hinschauen könne, gegen eine Verdreifachung des Honorars. Der Experte habe entgegnet: Wenn ich genauer hinschaue, entdecke ich noch mehr Fehler. Die Händler hätten Flug- und Hotelkosten des Experten beglichen und sich anderen Objekten zugewandt.

 

Die Objekte von Karminskys Begierde sind nicht so heikel. Dissidentenkunst der Breschnew-Ära und postsowjetische Malerei, gekauft vom Künstler oder dessen Familienangehörigen. Für seine Lieblingsmaler müsse er ohnehin keine externen Experten konsultieren, da würde er selbst merken, wenn etwas nicht stimmt.

 

Karminsky kauft also, aber er verkauft nicht, verleiht ab und zu an Museen. Ein paar Millionen sei die Sammlung schon wert. Wie kommt man an so etwas, als Offenbacher Ex-Dreher resp. Frankfurter Ex-Kaffeehausbetreiber?

 

Karminsky hat im Umbruchschaos 1990ff. mit dem Sammeln begonnen. In Moskau habe man in den Jelzinjahren Bilder gegen einen Fön oder 10 Damenstrumpfhosen eintauschen können. Er zeigt mir Fotos, die er von der Malerin Natta Konysheva gemacht hat, ich sehe eine alte Frau in einem Moskauer Abbruchhaus. Ein „Geisterhaus“ nennt es Karminsky, hunderte Bilder hätten es irgendwie zusammengehalten. Frau Konysheva habe ihm zu seiner großen Überraschung eröffnet, daß sie bald für eine Woche nach Paris fliegen werde. Wieviel ein Tag in Paris denn koste? Nun, so ungefähr hundert Dollar, habe Karminsky geantwortet. Dann gib mir 700 Dollar, dafür kriegst Du sieben Bilder. Ob Konysheva je in Paris war, hat Karminsky nie erfahren.

 

Er erzählt von deutschen Galeristen, die damals in das zerfallende Imperium reisten, „auf der Suche nach Talenten“. Diese Galeristen hätten Bilder „ausgeliehen“ und versprochen, die Künstler im Westen groß rauszubringen. Dann hätten die Maler nichts mehr von ihren Gönnern gehört, auf Nachfragen hätten die Galeristen nicht reagiert. Karminsky habe seine Hilfe angeboten. Anrufe von, nun ja, etwas nachdrücklicherer Art, mit stark übertriebenem russischen Akzent, hätten die Galeristen schließlich zur Raison gebracht. Er habe die Bilder abgeholt und im Keller gelagert. Schließlich habe die Tate Gallery sie erworben und die Maler hätten ihr Salär erhalten.

 

Konkret geht es um das Künstlerduo Wladimir Dubossarsky / Alexander Winogradov. Die in postsowjetischen Zeiten glückliche Traktoristen nebst klassenbewußten Gespielinnen malten, der sozialistische Erntedank als Satyrspiel, auf diesen Paradiesbildern taucht schon mal ein strahlender Helmut Kohl auf oder ein Brad-Pitt-Verschnitt mit offenem Hosenlatz, den Handyknochen am Ohr, daneben knieende Nymphen: „Liebling, ich bin noch im Büro“ heißt eines der Dubossarsky-Winogradov-Bilder in Karminskys Sammlung. Fiktive Auftragskunst: Als ob die Raubritter und künftigen Oligarchen damals mit genügend spielerischem Zynismus begabt gewesen wären, um mitten im Bisnesgetümmel ein Interesse an der Parodie des sozialistischen Realismus‘ zu kultivieren.

 

Als die Kabakovs in Offenbach waren, vor gut zwanzig Jahren, waren sie noch kein Thema für die Bild-Zeitung. Karminsky hat sie im Stadtteil Lauterborn empfangen, einer speziellen Gegend im speziellen Offenbach. Aber Frau Kabakova verweigerte ein Gruppenfoto. „Eine Diva“ sagt Karminsky, die Kabakovs seien kein Künstlerpaar, die Frau trage nämlich rein gar nichts bei, eine einzige Inszenierung. Dennoch zieren auch zwei Kabakows sowie mehrere Mappen mit limitierten Drucken Karminskys Sammlung.

 

Er serviert Kaffee, die Bohnen in einer Viereinhalbtausend-Euro-Mühle gemahlen. 92-93 Grad Wassertemperatur, pro Kaffee sieben Gramm. Aufs Wetter achten, wenn feucht, etwas grober mahlen. Der Kaffee muß 25 Sekunden lang fließen, ohne Unterbrechung, wie ein Mäuseschwanz. Und so weiter, noch mehr Technische Daten, man kommt kaum mit.

 

Und dann führt Karminsky durch seine Galerie, begeistert, als sehe er die Bilder zum ersten Mal. Etwa Konstantin Batinkovs fahle, verheerte Landschaften, supertotal und von schwarzen Nadeln überzogen, mal sind es Hubschrauberschwärme, mal Kampfflugzeuge oder Vögel. Dann wieder Panzer oder U-Boote, drapiert wie Schreine oder Särge großer Männer. Oder Kyril Rubzovs comicartige Bibliotheken, sehr ordentlich, ein belesenes Volk von Kobolden hat sie einer offenbar überlegenen Gnomenrasse mit Monitorköpfen kampflos überlassen. Dann die Infanten nebst Hofstaat des Andrej Medvedev, ein Velázquez-Bosch-Mix als Freakshow. Nachdem er Medvedev nach einem Wodkazeremoniell Bilder abgekauft hatte, fiel Karminsky in eine Moskauer Baugrube und brach sich ein paar Rippen. Aber die Bilder blieben heil.

 

Schließlich Boris Orlov. Freude und Sieg, ein Bajonett krönt die Bronzeskulptur, die en face wie eine Standarte der Roten Armee daherkommt. Im Hohlkörper der Devotionalienkarikatur der Text eines Gefängnisliedes, wie mit den Fingernägeln in eine schwarze Wand gekratzt. Und Alexander Timofeev, Hyperrealist, lebt in Berlin. Ein kleiner Junge im Mädchenkleid, die Brust entblößt, er steht in einer dunklen Gasse. Ein Oberpfälzer Rezensent war über Timofeevs Bilder moralisch empört. Aber Timofeev ist nicht nur technisch brilliant und hätte, wenn überhaupt, einen Verriß aus St. Petersburg verdient, nicht aus Regensburg. Timofeev hat Karminsky porträtiert. Die Augen panisch aufgerissen, wird der Sammler von einer roten Strumpfhose stranguliert. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Bilder sind für mich keine Wertanlage, sagt Karminsky. Was wird aus seiner Sammlung werden? Er werde sich bei den deutschen Behörden erkundigen, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um ein Museum einzurichten. Der Erzähler wird einsilbig.

 

Der Sohn eines Küfers aus Czernowitz hat eine Wunderwelt entdeckt, diesseits jener sozialen Mechanismen, die die Extreme der Gesellschaft über Jahrhunderte haben konvergieren lassen: Wohlhabende Kaufleute brauchen intellektuellen Mehrwert, schwindsüchtige Bohème braucht Absinth, also entstehen Sammlungen. Kunst = Objekt mit Preis.

 

Demgegenüber handelt Karminskys Erzählung von ästhetischer Erfahrung, also davon, wie einem Kunst im freien Spiel der Reflexion widerfährt. Wie sich Geschmack bildet und man lernt, sein interesseloses Wohlgefallen zu artikulieren. Und wie man dennoch, contra Kant, ein Interesse am "Kunstschönen" entwickelt: Es zu besitzen.

500 Karminsky und Thurnhofer

 

Siehe auch Karminskij +++ Karminski +++ Michail Karminsky 

 

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