18. April 2021 - Die Meldung, dass der Whistleblower Edward Snowden ein digitales Porträt für einen Millionenbetrag verkauft hat, lief am Wochenende über die internationalen Nachrichtenagenturen. Angeblich hat es bei einer Auktion 5,5 Millionen Dollar erzielt, die Snowdens Freedom of the Press Foundation zugute kommen sollen. Bezahlt wurde freilich die Summe von 2224 in der Digitalwährung Ether (ETH), berichtet Snowdens Foundation.
Das von Snowden kreierte Kunstwerk ist ein NFT – Non Fungible Token. Was ist darunter zu verstehen?
Die Produktion von NFT basiert auf der Blockchain-Technologie. Nach dem Geschäftsmodell von Bitcon errichtet Ethereum ein dezentrales Netzwerk von Computern (Nodes), die gemeinsam Leistungen erbringen. Zur internen Verrechnung der Leistungen wurde die Währung Ether (ETH) eingeführt. Ein eigenes Protokoll von Ethereum ermöglicht die Erstellung von NFT, die neben ETH als Währung im Universum von Ethereum anerkannt werden. In diesem „Metaversum“ können NFT jede virtuelle Form annehmen, die es in der realen Welt auch gibt: Briefmarken, Songs, Katzen, Grundstücke und eben auch Kunstwerke.
BTC-Echo schreibt, dass „NFT praktisch aus dem Nichts einen millionenschweren Markt geschaffen haben, der die Art, wie Künstler und Konsumenten interagieren, für immer verändern dürfte.“ Als Beleg dieser euphorischen These publizierte der Blockchain-Nachrichtendienst die Top Five der bislang verkauften NFT. An fünfter und zweiter Stelle stehen primitive Pixel-Porträts der CryptoPunks. Auf dem vierten Platz steht die erste Twitter-Nachricht von Twitter-Chef Jack Dorsey. Die Bronze- und Gold-Medaille geht an den Pionier der NFT-Kunst, Mike Winkelmann, der unter dem Künstlernamen Beeple aktiv ist. Seine virtuelle Collage „The First 5000 Days“ wurde kürzlich bei Christie‘s versteigert – um sagenhafte 69 Millionen Dollar, wie die Medien berichten.
Was die Medien meistens nicht berichten: bezahlt wird in ETH, die Angaben in Dollar oder Euro sind lediglich der hypothetische Wechselkurs zum Zeitpunkt der Transaktion. So kostete ein Pixelbild der CryptoPunks am 11. März dieses Jahres 4.200 ETH umgerechnet 7.566.173 und ein zweites, zum gleichen ETH-Preis wenige Stunden später bereits 7.584.485 Dollar. Die Anzahl von ETH ist im Unterschied zu Bitcoin nicht limitiert. Aktuell existieren 115,5 Millionen handelbare Coins, die zum letzten Kurs (Freitag 16.4.2021) für eine Marktkapitalisierung von 241,3 Milliarden Dollar stehen. (ETH Kurstabelle)
Der Kurs von Ether ist vorige Woche von 1.838 auf seinen bisherigen Höchststand von 2.544 Dollar gesprungen und hat die Handelswoche bei 2.088 Dollar beschlossen. Im Jahresverlauf hat sich der ETH-Kurs verzehnfacht. Zu den Schlagzeilen um das Snowden-Bild und die erste NFT-Auktion bei Sotheby‘s am 15. April kam die Nachricht, dass die Rothschild Investment Corporation mit 4,75 Millionen US-Dollar beim Ethereum Trust von Grayscale eingestiegen ist. Neben dem professionellen Marketing der Hersteller von NFT spielt auch Grayscale, der führende Vermögensverwalter von Kryptowährungen, eine zentrale Rolle für die Preissprünge bei NFT-Kunstwerken.
Zum kometenhaften Aufstieg von NFT als Kunstwerke gehört letztlich die Autorität der weltgrößten Auktionshäuser. Nach Christie‘s hat sich nun auch Sotheby‘s dem Zahlungskreislauf von Ethereum angeschlossen. Diese Schwergewichte des Kunstmarktes sorgen dafür, die Kredibilität der Blockchain-Währung Ether auf eine Stufe zum Dollar zu heben. Es ist fraglich, ob sich damit die Interaktion zwischen Künstler und Kunde „für immer verändern dürfte“. Es ist aber möglich, dass sich Ether aufgrund der einflussreichen Marketmaker neben dem Dollar als zweite Leitwährung im Kunstmarkt etablieren könnte.
Solange die ETH-Kurs im Verhältnis zum Dollar steigen und solange die Marktteilnehmer an die Einzigartikgkeit (non fungibility) der neuartigen digitalen Kunstwerke glauben, solange können NFT als Spekulationsobjekt auf den Finanzmärkten reüssieren. Der Künstler Pak, von dem zwei Werke bei der jüngsten Autkion von Sotheby‘s versteigert wurden, hat eine subversive Idee entwickelt, die das System in Frage stellt. Wie pressetext berichtete, hat er unter dem mehrdeutigen Namen „ASH“ eine neue Währung eingeführt, die man nur dadurch erwerben kann, indem man (per definitionem nicht zerstörbare) NFT „verbrennt“. Die umgehend lancierte Plattform https://burn.art verzeichnet bislang jedoch noch keine Aktivitäten.
Was kann der konventionelle Kunstmarkt davon lernen?
Vertreter der "Old Economy" und des konventionellen Kunstmarktes, die Bilder auf Papier und Leinwand verkaufen, können dieses Geschäftsmodell jederzeit mit ihren Mitteln verwirklichen. Man muss dafür lediglich einem Künstler für den Kauf eines beliebigen Werkes einen Wechsel in der Höhe von einer Millionen Euro ausstellen. Damit es seriöser und internationaler klingt sollte man das Papier mit "Bill of Exchange" titulieren. Der Deal hinterlässt zwei glückliche Geschäftspartner: den Käufer eines schönen Werkes, das er sich an die Wand hängen kann, und den Inhaber von potenziell einer Million Euro - der Künstler muss dann nur noch eine Bank finden, die diesen Wechsel einlöst. Wenn dies nicht gelingt, kann er sich immerhin den Wechsel einrahmen und an die Wand hängen. Somit ist bei diesem Deal auch gewährleistet, dass Leistung und Gegenleistung letztlich äquivalent sind.
Ergänzung 27.4.2021: Was es sonst noch gibt: eine Basketball-Karte, die um 5,2 Millionen Dollar verkauft wurde. Das Element der Mystifikation, das die Einzigartigkeit, die Einmaligkeit, letztlich sogar die Eschatologie des Objekts behauptet und gleichzeitg beweist, ist die Signatur des "Basketballsuperstars" LeBron James, wie ORF.at berichtet.
Ergänzung 25.7.2022: Der Autor des Artikels "NFT: Goldgrube oder Millionengrab?" hat im selbst ein NFT produziert und konnte es tatsächlich verkaufen: um heiße 2 (zwei!) Dollar - bei Spesen von 20 Dollar.